Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Younghi Pagh-Paan am 29. Oktober 2025 im Bremer Rathaus durch Bürgermeister Dr. Bovenschulte

Mit großer Freude und aufrichtiger Bewunderung gratuliere ich meiner verehrten Kollegin und Vorgängerin Prof. Younghi Pagh-Paan zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes. Diese hohe Auszeichnung würdigt ein Lebenswerk, das in seiner Konsequenz, seiner poetischen Tiefe und seiner menschlich-ethischen Haltung weit über die Grenzen bloßen musikalischen Schaffens hinausreicht.

Younghi Pagh-Paan ist eine Künstlerin von seltener Integrität. Ihr Werk, das von früh an eine unverwechselbare Handschrift trägt, vereint unterschiedliche Welten: die klangliche und spirituelle Kultur Koreas mit der expressiven Kraft der europäischen Avantgarde. In ihrer Musik begegnen sich Stille und Energie, Meditation und Aufschrei, Formstrenge und emotionale Freiheit. Sie versteht Komposition nicht als handwerkliche, satztechnische Übung, sondern als eine Form des Denkens, Fühlens und Hörens, die in die Tiefe des Menschseins führt. Ihre Werke sprechen von Verletzlichkeit und Widerstand, von Erinnerung und Verantwortung – Themen, die sie mit größter künstlerischer Sensibilität und innerer Wahrhaftigkeit gestaltet.

Als Younghi Pagh-Paan 1994 den Ruf an die Hochschule für Künste Bremen annahm, begann ein neues Kapitel für die zeitgenössische Musik in unserer Stadt. Mit der Gründung des Atelier Neue Musik schuf sie einen Ort, an dem sich künstlerische Neugier, interkultureller Austausch und unbedingte Ernsthaftigkeit in der Auseinandersetzung mit Musik im gesellschaftlichen Kontext verbinden. Unter ihrer Leitung entwickelte sich das Atelier zu einem zentralen Forum für die Musik unserer Zeit – offen für neue Ideen, radikal im Denken, geprägt von einem tiefen Respekt vor der schöpferischen Verantwortung jedes Einzelnen und dabei frei von jeglichem Dogmatismus.

Ihre Lehre war geprägt von einer einzigartigen Mischung aus Strenge und Mitgefühl. Sie forderte viel, aber sie forderte nie etwas, das sie nicht selbst in höchstem Maße lebte: Genauigkeit, Hingabe, Wahrhaftigkeit. Studierende, die das Glück hatten, bei ihr zu lernen, berichten immer wieder von einer Erfahrung, die weit über das Handwerk des Komponierens hinausging. Sie lehrte das Hören als eine ethische Praxis – als die Fähigkeit, aufrichtig zuzuhören, dem Anderen im Klang zu begegnen und in der Musik die Verantwortung für das eigene Tun zu erkennen.

So wurde Younghi Pagh-Paan nicht nur zu einer künstlerischen Leitfigur, sondern auch zu einer moralischen Instanz innerhalb der Hochschule. Ihr Wirken hat die HfK Bremen tief geprägt und weit über die Region hinaus bekannt gemacht. Viele ihrer ehemaligen Studierenden sind heute selbst prägende Stimmen der internationalen Musikszene – ein Zeugnis der nachhaltigen Kraft ihrer Lehre.

Neben ihrem pädagogischen Wirken steht ihr bedeutendes kompositorisches Schaffen, das seit Jahrzehnten auf den großen Bühnen der Welt präsent ist – bei den Donaueschinger Musiktagen, den Wittener Tagen für neue Kammermusik, bei Festivals in Berlin, Paris, Wien, Seoul und anderswo. Ihre Musik wird geschätzt wegen ihrer Unbedingtheit, ihrer Konzentration, ihrer spirituellen Tiefe. Sie ist nie gefällig, nie vordergründig laut – und doch von einer Eindringlichkeit, die niemanden unberührt lässt.

Die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes würdigt nicht nur eine herausragende Komponistin, sondern auch eine Pionierin, die durch ihr Beispiel vielen anderen den Weg bereitet hat. Für die Hochschule für Künste Bremen ist diese Ehrung zugleich Anlass zu Dankbarkeit und Stolz: Dankbarkeit für die Zeit ihres Wirkens, für die unzähligen Impulse, die sie uns hinterlassen hat, und für das bleibende geistige Erbe, das sie in unserem Haus begründet hat.

Als ihr Nachfolger empfinde ich tiefe Demut und Dank dafür, in ihrer Tradition weiterarbeiten zu dürfen. Ihre Haltung – das kompromisslose Streben nach Wahrhaftigkeit, das Vertrauen in die Kraft der Kunst und das Bewusstsein für ihre gesellschaftliche Verantwortung – bleibt für mich und viele Kolleginnen und Kollegen ein Kompass in unserem eigenen Schaffen.

Im Namen des Atelier Neue Musik der Hochschule für Künste Bremen gratuliere ich ihr von ganzem Herzen zu dieser verdienten Auszeichnung.

Prof. Jörg Birkenkötter
Komposition / Atelier Neue Musik
Hochschule für Künste Bremen